junk space: Enge im Parkhaus

25. Juli 2017 - Enya Assmann

Du musst deine Probleme umarmen – junk space von Kathrin Röggla im Parkhaus Schützenstraße.

Ein skurriles Seminar gegen Flugangst. Die Teilnehmer sind ganz normale Menschen, wie du und ich. Sie ziehen aus, um das Fürchten zu verlernen, sich therapieren zu lassen, sich verbessern zu lassen, sich upgraden zu lassen...In den Zwischenräumen, den Übergangsmomenten, den Pausen des Seminars stellt sich heraus, dass die Flugangst nur die Spitze des Eisbergs ist und darunter ein ungeheures Ungeheuer liegt. Angst vor Terror, Krankheit, Alter, Armut, Arbeitslosigkeit, Versagen oder Tod, und das ständig wachsende Bedürfnis nach Sicherheit zeigen uns die Bedeutung der Angst in unserer Gesellschaft (WildWuchs Theater).

Skurril sind nicht nur die Teilnehmer des Seminars, sondern auch die Spielstätte des Stückes: Das Parkhaus in der Schützenstraße. An parkenden Autos vorbeigehend erreicht das Publikum schließlich das dritte Parkdeck. Die Wirkung der Parkhausatmosphäre ist beklemmend und offen zugleich. Zunächst muss das Publikum zahlreiche Parkplätze ablaufen, bis es die eigentliche Bühne erreicht, die grell weiß von Neonleuchtröhren angestrahlt wird. Fünf Teilnehmer haben sich versammelt, um von ihren Verhaltensstörungen im Bereich der Flugangst erlöst zu werden. Gemeinsam warten sie auf ihren Guru, den Seminarleiter, der sie endlich von ihrer Furcht befreien soll. Während der Wartezeit diskutieren die von der Leistungsgesellschaft geprägten Teilnehmer über die Gründe ihrer Teilnahme, ihre Ängste und, am allerwichtigsten: Ihre Arbeit.

„Warum sind Sie dann hier?“
„Ich will ja gezwungen werden.“

Die Teilnehmer setzen sich zusammen aus der erfolgreichen Frau Schmidt, die als Kontrolltante bezeichnet wird und bei jeder Reise eine Nagelschere mit ins Flugzeug schmuggelt. Damit macht sie darauf aufmerksam, wie unfähig die Arbeiter an Flughäfen seien und dass es keinen Unterschied zwischen Kontrollen bei Inlands- und Auslandsflügen geben sollte.
„Ich kann doch nicht mein Leben lang mit der Nagelschere durchs Leben laufen und darauf warten, entdeckt zu werden.“
Weitere Teilnehmer sind der schleimige und besserwisserische Herr Schorf, der sich nicht von seinen „Hemmschuhen“ trennen kann, Herr Schmidt, dessen Macht- und Manipulationsfähigkeiten im Job für ein Burnout sorgten, Herr Schneyder aus dem Controlling, der sich der Bewältigung seiner Probleme stellen will und die Praktikantin Frau Schneider, die als ausgebremste Hysterikerin beschrieben wird und sich bereits willenlos dem System hingegeben hat - sie kann kaum mehr an etwas anderes als an ihre Arbeit denken.

„Ich werde gerne gefickt…also im übertragenen Sinne.“

Die fünf Seminarteilnehmer werden dauerhaft von Herrn und Frau Schultze beobachtet, die die Teilnehmer filmen und deren Fortschritte kommentieren, gleichzeitig jedoch für eine beklemmende Stimmung der Überwachung sorgen. Durch den Hall der Stimmen im Parkhaus wirken die Sätze lange nach und schaffen eine beachtliche Klangweite, während die Bühne im Verlauf des Stückes für die sieben Personen immer enger zu werden scheint, bis sich Frau Schneider an der Decke abstützen muss, um den mentalen Fahrstuhl, der immer weiter nach oben fährt, mit eigener Kraft anzuhalten. Sie alle leiden unter dem Druck der unternehmerischen Leistungsgesellschaft, der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes und den Zwängen des kapitalistischen Systems. Dabei ist die Konfrontation mit den eigenen Problemen schwieriger, als die Gruppe zunächst angenommen hatte.

„Versuchen Sie mal zu atmen, nur so spaßeshalber.“

Generell ist junk space ein Stück, dessen Inszenierung durch Frederic Heisig und Kristina Greif schwierig in Worte zu fassen ist, weswegen der Besuch der letzten Vorstellung am Donnerstag allen Studenten nur ans Herz gelegt werden kann. Gerade durch den Bezug zur Autorin Kathrin Röggla, die für 2017 die Poetikprofessur an der Universität Bamberg übernommen hat und ein unglaubliches sprachliches Talent für die Mischung aus Absurdität und Greifbarkeit aufweist. Ihr Text sorgt für verhaltende Lacher, die aber schon nach kurzer Zeit ersticken, da das Publikum beginnt, sich in den Zeilen wiederzuerkennen.
Ein Stück, das nachwirkt. Zitate und Bilder, die im Kopf herumschwirren, sorgen für das Schweigen des Publikums beim Verlassen des Parkhaues. Sind wir auch abhängig von der Leistungsgesellschaft? Ist das unser Rauchen im übertragenen Sinne? Ein Stück, das durch seine brillant absonderliche und gleichzeitig tiefgründig realistische Textvorlage überzeugt, spannend inszeniert und herausragend gespielt von einer Gruppe talentierter Schauspielerinnen. WildWuchs Theater, ein Schauspielverein, dessen Stücke auf jeden Fall im Auge behalten werden sollten.

Am 27. Juli um 19 Uhr findet die letzte Vorstellung von „junk space statt. Tickets sind beim BVD Kartenservice und in der Neuen Collibri Buchhandels-GmbH zu erhalten.

Bildnachweis: Denis Meyer