Normalverdiener - Kapitalismuskritik ohne Beklemmung

06. November 2017 - Enya Assmann

Das Stück „Normalverdiener“ von Kathrin Röggla feiert im ETA Hoffmann Theater seine Uraufführung mit einer Inszenierung von Leopold von Verschuer. Röggla hat für 2017 die Poetikprofessur an der Universität Bamberg übernommen. Ihre Texte zeichnen sich dabei vor allem durch ihre mit schwarzem Humor durchsetze Kritik an westlicher Ökonomisierung, Arbeitsverhältnissen und Krisenmanagement aus.

„Man muss sich doch eingeladen fühlen.“

ER – Felsch, the big boss, skrupellos und versessen auf schnelle Erfolge, durch spekulative Großgeschäfte zu sehr viel Geld gekommen, lädt seine alten Freunde auf eine Südseeinsel in sein luxuriöses Ferienressort ein.Die heterogene Gruppe der Normalverdiener wird zu einem Chor der Mitläufer, der selbst dann zuschauend bleibt, als immer mehr Leichen von Menschen, die in ihrer Hoffnungslosigkeit in Booten ihre Heimat verlassen haben, an den Strand getrieben werden. (ETA Hoffmann Theater).
Auf der Bühne stehen Metallbetten, die an Krankenhausequipment erinnern. Auf ihnen die Protagonisten, mit weißen Laken bedeckt, im Gesicht eine Gurkenmaske. Diese Mischung aus Entspannung und Tod entfaltet zunächst Spannung bei dem eintretenden Publikum. Nach und nach erheben sich die Figuren von ihren Betten und fangen an, Felsch zu kritisieren. Dieser hat seine sechs Freunde auf sein luxuriöses Domizil eingeladen, wo sie sich endlich mal von der Arbeit erholen sollen. Doch nachdem sie auf der Insel angekommen sind, beginnen sich Karsten, Sandra, Tine, Sven, Norman und Gebhart zu fragen: Wo ist eigentlich Felsch? Wieso hat er sie nicht begrüßt? Und was sind das für Boote im Wasser? Wo ist eigentlich Johannes?
Johannes, ebenfalls Mitglied der Gruppe, durch seinen Niedergang bis hin zu Hartz IV Dasein allerdings überwiegend nur Opfer von Gespött, ist ebenfalls seit der Ankunft auf der Insel verschwunden. Weder er noch Felsch treten auf der Bühne in Erscheinung und verhärten damit den Verdacht des Publikums, dass sich etwas Dramatisches zugetragen hat, das wie ein düsteres Damoklesschwert über der Gruppe schwebt.

Die geplante Entspannung wird schon bald zu einem Ausharren, einem Gefangensein in der Untätigkeit. Über den Figuren schwebt der Geist des Kapitalismus, der durch eine Mischung aus Hindu-Gottheit und Krieger dargestellt wird, mit einer tierähnlichen Maske, großen Hörnern, einer verfilzten Mähne und einem kämpferischen Gewand. Beim ersten Auftreten dieses Wesens geht Unbehagen durch das Publikum, doch im Verlauf des Stückes wird es immer mehr zum Teil der Szenerie und verliert seine beklemmende Wirkung.

„Wir hätten ihm das mit dem verdreckten Pool sagen sollen. Da lag immerhin ein Körper drinnen.“

Die Figuren sprechen im Konjunktiv, sodass dem Zuschauer eine Art Puzzle aus Informationen vorgelegt wird, das er eigenständig zusammenlegen muss. Dabei wird erst nach und nach entblättert, wie der eigentliche Urlaub eine tragische Wendung nimmt, als die Gruppe Flüchtlingsboote vor der Insel entdeckt und nun entscheiden muss, was zu tun ist.

Die Inszenierung von Verschuer versucht durch minimalistische Reduktion von Bühnenbild, Kostüm und Bewegungssprache eine übergreifende Beklemmung zu erzeugen, was wenig gelingt. Der Zuschauer kommt aus dem bloßen Betrachten nicht heraus, wird nicht aktiv in das Stück eingebunden und verliert sich nach der ersten Hälfte in abschweifenden Gedankengängen. Die schockierenden Wendungen des Stückes sind schwach herausgearbeitet, die mitschwingende Beklemmung erfasst das Publikum nicht. Schon bald befinden sich die Zuschauer in einem Ausharren auf das Ende des Stückes, was sich durch die zunehmenden Blicke auf das Blatt der Souffleuse oder zur Tür bemerkbar macht.
Beim Verlassen des Theaters entflammt keine hitzige Diskussion unter den Zuschauern, keine tieferen Gedanken über das Stück bleiben hängen. Ein brandaktuelles Thema, das unter seinem Potential inszeniert wurde.

Weitere Termine: 02.11, 03.11, 4.11, 9.11 im ETA Hoffmann Theater