Sozialkritik in Blassrosa

07. März 2020 - Anna Hench

Am Freitag, den 6. März feierte „Jugend ohne Gott“ von Ödön von Horváth am ETA Hoffmann-Theater Bamberg Premiere. Ein Werk, das wie kaum ein anderes gerade auf den deutschen Bühnen gespielt wird, und das aus gutem Grund.

„Bin ich verdorben?“ – „Niemand ist heilig.“

Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen als Autor und Dramatiker im Jahr 1937 analysiert Ödön von Horváth in seinem Roman „Jugend ohne Gott“ die Lenkung der öffentlichen Meinung im NS-Regime. Besonders die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, die in einer faschistisch geführten Gesellschaft aufwachsen, beschäftigt ihn. Ein Lehrer (in diesem Fall eine Lehrerin, überzeugend gespielt von Ewa Rataj) spürt die wachsende Radikalisierung der jungen Menschen am eigenen Leib. Als sie im Unterricht klarstellen möchte, dass auch Menschen mit dunkler Hautfarbe Respekt verdienen, ist sie schockiert von der rassistisch motivierten Vehemenz ihrer Schüler. Die Lehrerin redet sich ein, dass die Kinder diesen Unsinn nur den Propagandamedien nachplappern, aber in den Bauchtaschen ihrer Schutzbefohlenen (Bühne und Kostüme: Johanna Stenzel) verbergen sich Bespitzelungsgeräte und ihr droht schon bald ein Verfahren wegen Vaterlandsverrat. Das kümmert sie jedoch weniger als der Gewissenskonflikt, in den sie immer stärker hinein gerät. Gefangen zwischen der Notwendigkeit der Konformität und der aufbegehrenden Stimme der Humanität in ihr, ist sie kaum fähig, selbstbestimmt zu handeln – und gleichzeitig muss sie mit ihrer Schulklasse ins vormilitärische Exerzierlager fahren. Dort kommt es schließlich zur Eskalation: der Schüler N wird ermordet und ein böswilliges Spiel mit Beschuldigungen und Verurteilungen bedroht die Lehrerin, die mehr zu dem Fall weiß, als sie zunächst preisgibt. Erst als sie sich dazu durchringt, zu Gunsten der Wahrheit vor dem Richter auszusagen, kann der Fall gelöst und der Mörder ermittelt werden. Aber für die Lehrerin wie für Vaterlandsverräter ist in dieser Gesellschaft kein Happy End vorgesehen.

„Was wird das für eine Generation? Eine harte oder nur eine rohe?“

Regisseurin Elsa-Sophie Jach ist die dem Text inhärente Brisanz nicht genug. Das Stück muss nicht nur ins Heute, sondern in ein Morgen auf der Basis von Heute gehoben werden, um vor einer dystopischen Zukunft zu warnen (als ob diese nicht schon längst ihre Schatten vorausschicken würde). Sie steckt ihre für die Erzählung benötigten Figuren in gleichgeschaltete Kostüme: alle dieselben Kleidungsstücke, alle denselben Haarschnitt, aber jeder eine andere Farbe. Man will ja trotzdem noch „unique“ sein, so wie alle jungen Leute in der Instagram- und Selfie-Welt heutzutage. Jachs Konzept geht in dem Sinne mit Horváths Ansatz konform, dass es die jungen Menschen in den Fokus zu rücken versucht. Bühne und Kostüme suggerieren eine übertrieben poppige Puppenhaus-Welt, die an den oberen Kanten bereits schimmelt. Wohl doch nicht das von allen geliebte Dreamhouse…

Dramaturgin Victoria Weich spricht in ihrer Einführung von einer Inszenierung der Jugend als neoliberale Hipster, welche „in style“ dem rechtsradikal geführten Vaterland dienen. Davon erzählt sich jedoch nichts. Das dem Abend zugrunde liegende Werk möchte trotz der pappsüßen Kaugummi-Haube der Inszenierung die Geschichte einer Lehrerin schildern, die an einer faschistischen Gesellschaft zerbricht. Ob ihre Schüler*innen dabei fortwährend ein Duckface ziehen, ist völlig irrelevant. Soll man es etwa als Dystopie verstehen, dass junge Menschen eine für ältere Generationen unverständliche Performanz im Internet entwickelt haben?

„Divisionen von Charakterlosen unter dem Kommando von Idioten.“

Paradoxerweise soll Horváths Text an anderer Stelle das Stück ganz allein tragen. An keinem Punkt des Abends wird deutlich, dass die Lehrerin mit ihren Schülern ins Zeltlager fährt. Dieses Wissen um das Originalwerk ist entweder Voraussetzung, oder die schlimmen Vorkommnisse finden für den Zuschauer im Sportunterricht der Schule statt. Die Regieführung bedient sich überwiegend an Stilmitteln des Erzähltheaters, welche von unmittelbaren, dialogischen Szenen durchsetzt sind. Dieser unausgewogene Mischmasch verhindert jedoch das Aufkommen einer dramatischen Handlung, die den Abend überzeugend tragen könnte; das Ergebnis ist eine unaufregend dahinplätschernde Moralpredigt. Als die Lehrerin beispielsweise im Tagebuch eines ihrer Schüler herum schnüffelt, spielen die Darsteller der gelesenen Handlung zwar auf der Bühne, aber es ist kein dramatisches Geschehen erkennbar. Stattdessen soll der von ihnen gesprochene Text die Handlung erzählen. Das kann er doch so gut – in Romanform.