Viel Nebel um nichts?

14. Mai 2017 - Christina Weidl

„Antigone“ im ETA Hoffmann Theater behandelt im klassisch-antiken Gewand zeitlose Fragen um das Recht des Staates und das des Einzelnen.

Zuerst einmal Nebel. Die Schauspieler haben sich bereits in der Szene verteilt, ein blutiges Festbankett mit Stühlen und großem Blumenbouquet in der Mitte, und warten. Dann fällt der Apfel zu Boden, das Licht geht an und der Nebel lichtet sich.
Sand, Nebel, Pelzmäntel und hautfarbige Unterwäsche – auf den ersten Blick wirkt die Inszenierung von Sophokles‘ „Antigone“, uraufgeführt im Jahr 442 v. Chr., ziemlich modern und auch etwas schräg. Allerdings ist es tatsächlich eine klassische Interpretation des seit Jahrtausenden berühmten Stoffes, ganz im Sinne der antiken Tragödie, mit klaren, starken Monologen und Dialogen, pantomimischen Darstellungen mit langsamen, bedächtigen Bewegungen, unterbrechenden Musiksequenzen zwischen den Szenen, statuenhaften Standbildern und ausdrucksstarken, übertriebenen Gesichtsausdrücken. Dabei beschränkt sich die Inszenierung ganz auf das Wesentliche, der Streit um verschiedene Rechtsauffassungen und die Frage nach Recht und Unrecht, oder doch eher Richtig und Falsch?

Nachdem ihre beiden Brüder sich im Kampf um die Stadt gegenseitig getötet haben, wird Antigones Onkel Kreon neuer Herrscher Thebens. Den einen Bruder erklärt er zum Verteidiger der Stadt, den anderen zum Staatsfeind, dem er das Begräbnis verweigert. Ein Zustand, den Antigone nicht akzeptieren will. Weißt du nicht, wie sehr das höchste aller Güter das Recht zu denken ist? Antigone setzt sich trotz der Beschwichtigungsversuche ihrer Schwester Ismene über Kreons Gebot hinweg und bestattet ihren Bruder, obwohl sie weiß, dass sie mit dieser Handlung die Todesstrafe auf sich zieht. Kreon, bemüht darum, zum Besten der Stadt zu handeln, will sein Gesetz nicht lockern, selbst wenn seine Nichte die Schuldige ist, denn: Der Staatsmacht, wem immer die Staatsmacht obliegt, darf niemand trotzen! Antigone bezieht sich in ihren Handlungen jedoch nicht auf das weltliche, sondern auf ein göttliches Recht – und auf ihre Familienbande und die Liebe zu ihrem toten Bruder.
Ganz im Sinne des tyrannischen Herrschers betrachtet Kreon jeden Andersdenkenden als Gefahr, die vernichtet werden muss. Er ordnet an, Antigone lebendig begraben zu lassen, trotz aller Kritik an seiner Entscheidung. Das ist kein Staat, der Einem nur gehört! Doch alle Vermittlungsversuche von Ismene und Haimon, Kreons Sohn und Antigones Verlobtem, sind vergeblich, denn beide beharren unversöhnlich auf ihrem Standpunkt.

Die Tragödie endet, wie sie enden muss: Nicht nur Antigone stirbt, sondern auch Haimon, und jede Einsicht des erschütterten Kreon kommt zu spät. In der Schlussszene wird sogar das Bühnenbild aufgelöst, die große Glaswand des Studios wird zurückgeschoben und Kreon sitzt im Freien alleine und verlassen auf einem Stein, Verursacher oder Leidtragender des Unglücks? Am Ende kehrt nur der Nebel zurück, und der Apfel, von dem Antigone im Verlauf des Stückes ein paar Bissen essen konnte, nach dem Kreon jedoch vergeblich gelangt hat. Es bleibt die späte Erkenntnis: Bei weitem ist das Denken der erste Anfang des höchsten Glückes.

Antigone läuft noch bis zum 17. Juni im ETA Hoffmann Theater.

Bildnachweis: ETA Hoffmann Theater Bamberg / Martin Kaufhold

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