Zerbrochenes Familienglück – Caroline Links „Im Winter ein Jahr“

15. November 2015Linda Spielmann

Eliane Richter gibt ein Portrait ihrer beiden Kinder Lilli und Alexander in Auftrag. Lilli ist 21, studiert Tanz und Gesang an der Theaterakademie in München. Alexander ist gerade 19 geworden. „Und der lebt auch in München?“, fragt Künstler Max Hollander. „Nein, Alexander, ja… das ist das Problem. Alexander ist tödlich verunglückt letzten Herbst.“

In ihrem Film „Im Winter ein Jahr“ (2008) präsentiert die deutsche Regisseurin und Oscarpreisträgerin Caroline Link die Geschichte einer Familie, deren intakte Fassade durch den plötzlichen Tod des Sohnes erschüttert wird – und ein Portrait von ihm und seiner Schwester, welches unterschiedliche Wege der Trauer aufeinander prallen lässt.

Alles beginnt mit Alexander. Völlig versunken tanzt er im Schnee. Seine Mutter fängt den Moment mit der Videokamera ein. Knapp ein Jahr später überreicht sie diesen Film zusammen mit vielen anderen Filmen und Fotos dem Künstler Max Hollander. Sie beauftragt ihn, ein Portrait von ihren beiden Kindern zu malen, ihrer Tochter Lilli (Karoline Herfurth) und ihres inzwischen verstorbenen Sohnes, der im vergangenen Herbst bei einem Jagdunfall ums Leben kam. Während dieses Bild für die Mutter sehr wichtig ist, um den Tod von Alexander zu verarbeiten, ist Tochter Lilli nicht begeistert von der Idee, ihren verstorbenen Bruder als Dekoration an die Wand zu hängen. Dennoch trifft sie sich mit Max, der sie fotografiert und skizziert, während sie von Alexander erzählt. Zunächst gibt sie wenig Preis, reagiert trotzig auf seine Fragen. Doch Max scheint sie besser zu verstehen als alle anderen. Und mit der Zeit öffnet sie sich und erzählt mehr von ihrem Bruder, wie er war und wie er wirklich starb. Das fertige Portrait sieht schließlich ganz anders aus als geplant. Und doch ist es so genau richtig.

Blick ins Innere

„Im Winter ein Jahr“ überzeugt nicht durch große Effekte, sondern ganz im Gegenteil durch seine Schlichtheit. Caroline Link kreiert eine außergewöhnliche Atmosphäre, die die kühle, düstere Stimmung der Jahreszeit widerspiegelt. Mit viel Liebe zum Detail fängt sie Gefühle, Gesten und Bewegung ein. Der Fokus liegt dabei ganz auf den einzelnen Figuren, ihrer Art der Trauer und ihren ganz persönlichen Abgründen, die im Laufe des Films sichtbar werden. So bietet der Film einen einzigartigen Einblick in ihr Inneres und ihre unterschiedlichen Versuche, den Tod des Familienmitglieds zu verarbeiten.

Caroline Link und die Zerbrechlichkeit der Familie

Nicht zum ersten Mal beschäftigt sich Caroline Link in „Im Winter ein Jahr“ mit dem Thema Familie, Familienstrukturen und ihrer Zerbrechlichkeit. Bereits ihr vielfach preisgekröntes Regiedebüt „Jenseits der Stille“ (1996) analysiert die Beziehung einer jungen Frau zu ihren taubstummen Eltern. Ihr Historiendrama „Nirgendwo in Afrika“ (2001), welches ihr den Oscar als „Bester fremdsprachiger Film“ einbrachte, beschäftigt sich mit einer jüdischen Familie, die auf der Flucht vor den Nazis eine kenianische Farm erreicht. Auch ihr aktueller Film „Exit Marrakech“ (2013) beschäftigt sich mit zerrütteten Familienverhältnissen und begleitet einen Vater und seinen entfremdeten Sohn bei einer rasanten Reise durch die Wüste Marokkos.

Anschauen könnt ihr euch „Im Winter ein Jahr“ am Dienstag, den 17. November 2015, ab 17:15 Uhr im Gebäude An der Universität 7 im Hörsaal U7/1.05. Im Anschluss berichtet Regisseurin Caroline Link in einer Podiumsdiskussion über ihre filmische Arbeit. Der Lehrstuhl für Literatur und Medien lädt dazu alle herzlich ein.

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