„I saw flecks of what could have been lights“, so heißt es in Taylor Swifts und Lana Del Reys Musikproduktion namens „Snow On The Beach“. Kein Wunder, dass Philipp Arnold diesen Song in seine Inszenierung von „Dantons Tod“ integriert. Allein die Tatsache, dass Parallelen zu dem neusten Song der Popkönigin unserer Generation konstatiert werden können, beweist die bis heute bestehende Aktualität des Stücks. In euphemistischer Glorifizierung wird nämlich der abgetrennte Kopf Dantons als Lichtstrahl in einem Korb banalisiert. Einerseits illustriert das die transiente Existenz des Individuums. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass dessen (also unser!) Schaffen als Hoffnungsschimmer und Keim für Veränderung wirken kann.
Nicht nur das Drama per se, sondern auch Arnold selbst, machen den Anspruch des Stücks, auf überzeitliche (ethischen) Fragestellungen hinweisen zu wollen, deutlich. Es thematisiert den Grat zwischen Individual- bzw. Kollektivschuld, Determinismus und Entscheidungsfreiheit und hinterfragt die Legitimation von Macht- sowie Gewalteinsatz. Gegenwärtig relevant sind diese Zusammenhänge auf globaler Ebene beispielsweise in der Klimakrise sowie dem Russisch-Ukrainischen Krieg.
Arnold entschied sich für eine rückwärts aufgerollte Zeitgestaltung, indem das Stück mit dem eigentlichen Ende, dem Guillotinieren Dantons als Handpuppe, einsetzt. Die darauffolgende Handlung des Dramas wird in ein ausgedehntes Traumsettings eingebettet, in welchem der Ex-Revolutionär wortwörtlich sein Leben an sich vorbeiziehen sieht und dabei seine Entscheidungen reflektieren kann. Büchners Stück, uraufgeführt 1902, beschreibt die Zuspitzung der französischen Revolution zwischen dem 24. März und 5. April 1794. Einst noch ein ideologischer Partner des führenden Jakobiners Robespierre, ändert sich nun aber Dantons Gesinnung dahingehend, dass er dem Morden ein Ende setzen möchte. Nachdem der Protagonist jedoch angeklagt und der Unterstützung einer Konterrevolution bezichtigt wurde, wird er zum Schluss ermordet. Arnold setzt die Darstellung von Dantons Sterben nicht nur an den Anfang, sondern auch an das Ende, wodurch eine spannungsvolle Rahmung generiert wird.
Herausragend ist die vollendete Professionalität der auf allen Ebenen überzeugenden Schauspieler, Stefan Herrmann, Leon Tölle und Barbara Wurster, welche im Dreiergespann die auf drei aufgesplitteten Persönlichkeitsanteile Dantons verkörpern und zugleich alle anderen Figuren spielen. Besondere Anerkennung verdient dabei deren makellose Synchronisation von Textanteilen. Nicht nur durch die Reduktion der Dramacharaktere auf drei wird Verdichtung erreicht. Meisterhaft ausgefeilt wird die Inszenierung durchkomponiert und bietet durch zahlreiche gestalterische Details reichlich Interpretationsfläche, tritt hochgeistig auf und zieht den Rezipienten dementsprechend in ihren Bann.
Zudem entscheidend an der speziellen Inszenierungsweise in „Dantons Tod“ ist der Einsatz von selbstreferenziellen Reflexionen, Ironie und Verfremdungseffekten, welche die Illusion brechen. Auf raffinierte Art und Weise wird an einer Stelle die Souffleuse zur aktiven Schauspielerin befördert, indem eine absurd-überzogene Textschwierigkeit und Begriffsstutzigkeit auf Seiten von Barbara Wurster vorgetäuscht wird. Dieses Mittel regt zum kritischen Hinterfragen an und verdeutlicht, dass es neben der Textebene auch eine darüber hinaus gehende Interpretationsebene gibt.
Am eigenen Leibe muss die Hauptfigur erfahren, dass die selbstgerechte Revolution ihre eigenen Kinder auffrisst, um den Zweck des Leitgedankens liberté, egalité, fraternité zu verwirklichen. „Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein Leben gequält, es wäre jetzt anders“. Mit dieser Resonanz wird Danton, der naiv auf eine für ihn heilsame Wendung vertraut hat, konfrontiert. Wir jedoch können von der Simulation seines exemplarischen Daseins profitieren und den Kopf unserer bzw. unserer zukünftigen Generation noch wortwörtlich aus der Schlinge ziehen. Hauptsache, eine Haltung der indifferenten Verantwortungsdiffusion gewinnt nicht die Oberhand und dem Terror sowie Hass wird die Bühne überlassen. Anstatt sich zu früh zufrieden zu geben, sollte man wohl nach Höherem streben, denn „Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien“ (Oscar Wilde). Dass die Revolution im Inneren beginnt, dass wir, die gleichermaßen schlecht wie gut sind, die Welt verändern können, bestätigt Hannah Arendt: „Alles Handeln, alles Agieren in dem ursprünglichen Sinne von etwas in Bewegung setzen, setzt die Vorstellung, ja die Existenz von Anfängen heraus“.
Diese Pointe nehme ich zumindest aus der Premiere am Freitagabend, welche mich immens bewegt hat, mit. Die ganzheitliche Einwirkung auf uns, das Publikum, demonstrierten aber nicht nur die Standing Ovations im großen Saal, sondern auch die Tränen in den Augen meines Sitznachbarn.