Vom „Wunder von Bern“ zur Flüchtlingskrise, von Togo bis in die Mongolei und von Mitterrand über Clinton und Kohl zu Angela Merkel – Friedrich Bohl arbeitet am 19.10.2015 bei seinem Vortrag an der Feki in einer Dreiviertelstunde mal eben die vergangenen knapp sechs Jahrzehnte der Weltgeschichte auf. Langweilig wird es zu keiner Zeit.
Unter dem Motto „Führung durch das Zentrum der Macht – Kohls letzter Kanzleramtschef in der Feki“ soll uns der in diesem Jahr 70 Jahre alt gewordene CDU-Politiker eigentlich nur in die Geheimnisse des Bundeskanzleramtes einweihen. Was er bietet, ist ein Ritt durch die Geschichte des 21. Jahrhunderts – nicht ohne dabei auch auf die heutigen politischen Probleme einzugehen. „Ja, wir können die aktuelle Flüchtlingssituation schaffen“, stellt Bohl klar, bevor er jedoch eindringlich warnt: „Aber wir können nicht jedes Jahr hunderttausend Flüchtlinge aufnehmen.“ Es sind Passagen wie diese, die den Vortrag spannend machen.
Mehr als 60 Studenten haben an diesem Vormittag den Weg in den dritten Stock der Feki gefunden. Der Seminarraum platzt aus allen Nähten. „Ich bin begeistert“, eröffnet der Referent seinen Vortrag, „dass sich anscheinend doch so viele Studenten für einen politischen Vortrag interessieren, für den es keine Leistungspunkte gibt“. Ohne Konzeptpapier, ohne Projektor, ohne Beamer: Die folgenden Minuten sind ein Musterbeispiel für rhetorische Brillanz. 45 Minuten lang redet Bohl vollkommen frei.
Er braucht keine Technik, um seine Zuhörer bei Laune zu halten, er bezieht sie ein. Fragt, wo der Unterschied zwischen einem parlamentarischen und einem beamteten Staatssekretär liegt (und deckt dabei elementare Wissenslücken auf…). Bohl zieht sich mitunter sogar selbst durch den Kakao: Sein Portrait als Regierungssprecher hängt in der Ahnengalerie, obwohl er das Amt 1998 bloß ein halbes Jahr lang kommissarisch bekleidete. Die mit Abstand kürzeste Amtszeit. „So werden in ein paar Jahrzehnten Studenten wie Sie durch die Ahnengalerie flanieren, bei mir hängenbleiben und fragen ‚Wer war denn dieser Depp?‘“ Auf charmant-witzige Art und Weise erklärt er auch, warum er seinen Nachfolger als Bundeskanzleramtschef, Peter Altmeier, für den richtigen Mann zur Koordination der Flüchtlingsfrage hält. „Peter ist gut gebaut. Es braucht einiges, um ihn umzuhauen.“
Jedoch verliert sich Bohl nicht in seinen Ausführungen über die weltpolitische Lage, sondern kommt immer wieder auf das eigentliche Thema des Vortrags zurück. Mit Begeisterung beschreibt er Aufbau und Funktionsweise des Bundeskanzleramtes: Empfang von Staatsgästen, Vorbereitungen von Kabinettssitzungen, Vermitteln zwischen den Ministerien, frühzeitiges Entschärfen von möglichen Konfrontationspunkten innerhalb der Koalition und dem Kanzler den Rücken freihalten – die Aufgaben eines Kanzleramtschefs sind vielfältig, aber auch mit viel Schreibtischarbeit verbunden. Bis zu „250 Akten musste ich täglich bearbeiten“, erinnert er sich. Da waren scheinbar weniger wichtige dabei, aber auch solche von derart hoher Brisanz, dass Bohl auch 17 Jahre nach seinem politischen Karriereende noch zur Verschwiegenheit verpflichtet ist (Stichwort: Geheimdienste).
Die thematische Bandbreite der Tagestermine eines Kanzleramtchefs ist jedenfalls enorm. „Einmal hatte ich ein Gespräch mit einem afrikanischen Innenminister, der mir von AIDS und verhungerten Kindern berichtete. Wenig später musste ich mich dann mit einer Ministersitzung über Ladenöffnungszeiten in deutschen Großstädten beschäftigen.“ Auch manche Erinnerungen an Helmut Kohl sind Bohl noch präsent. Vom Kanzler bloßgestellte Minister, ein ehrfurchtsvoller US-Präsident Clinton („Der hat den Mund vor Staunen kaum zu bekommen, als er Kohls Ausführung zugehört hat.“) oder eine damals unscheinbar wirkende Frauenministerin namens Angela Merkel. Bohl war immer dabei, hielt sich aber meist im Hintergrund. Ein guter Kanzleramtschef, erklärt er, sei einer, der von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werde. „Schließlich ist es nicht von Vorteil, wenn der Kanzleramtschef mehr Lorbeeren einheimst als der eigentlich zuständige Minister.“
Seine Lockerheit verliert Bohl auch bei der anschließenden Fragerunde nicht. Er beantwortet alles. Ausführlich. Spontan. Verständlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir seine Einschätzung zur aktuellen politischen Situation oder persönliche Dinge von ihm wissen wollen. Wie es ihm denn gegangen sei, nachdem er kein Bundesminister mehr war und ob es schwer gewesen sei, wieder „ins normale Leben zurückzukehren“, möchte ein Kommilitone wissen. „Sehen Sie“, führt der Gefragte mit einem Lächeln auf den Lippen aus, „ich habe vier Kinder, die mich stets auf dem Boden gehalten haben.“ Jedoch das Geldabheben am Automaten sei so eine Sache gewesen. Das habe er erst lernen müssen, und hat damit die Lacher auf seiner Seite. Wie so oft an diesem Mittag.
An dieser Stelle sei Herrn Bohl noch einmal gedankt für seinen launig-interessanten Vortrag, für den er kein Honorar verlangt hat.
Text: Sebastian Koch, Foto: privat