Im Rahmen der 33. Bayerischen Theatertage in Bamberg präsentierte das Landestheater Coburg am 8. Mai 2015 mit „Fabian“ eine Theateradaption des bekanntesten Erwachsenenromans Erich Kästners und brachte damit ein Stück auf die Bühne, dass auf verblüffende Art und Weise die Zerrissenheit der Gesellschaft in der Endzeit der Weimarer Republik abzubilden weiß.
Der Regisseur Torsten Schilling hielt sich dabei weitestgehend an die im Jahr 2013 posthum unter dem ursprünglich von Kästner angedachten Titel „Der Gang vor die Hunde“ publizierte unzensierte Originalversion des Romans, die dem Verleger von 1931 noch zu drastisch war, und sorgte damit auch bei alten „Fabian“-Kennern für kleine Überraschungen.
„Wir leben provisorisch, die Krise nimmt kein Ende" ,
konstatiert Fabian über das Lebensgefühl seiner Generation und bringt damit die Stimmung Berlins kurz vor Beginn der NS-Zeit auf den Punkt: Das Land ist von Massenarbeitslosigkeit geprägt, die soziale Not ist groß und das politische Klima gleitet zunehmend in die radikalisierte Extreme ab. Gleichzeitig flüchtet man sich in nächtliche Vergnügungen und frönt einer noch nie dagewesenen (Sexual)moral – hemmungslose Genusssucht und pervertierte Liberalität herrschen vor. Kriegstraumatisiert und krisengeschüttelt versucht jeder, seinen Platz zu finden in einer Welt, die unbeständig und höchst vergänglich scheint.
So auch Jakob Fabian. Der studierte Germanist hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, arbeitet als Werbetexter bei einer Zeitung. Er wartet auf etwas, das er den „Sieg der Anständigkeit“ nennt, begreift sich selbst als unverbesserlichen Moralisten und gibt sich doch, besonders im Gespräch mit seinem von kommunistischen Idealen bewegten Freund Stephan Labude, eher fatalistisch. Als er Cornelia kennenlernt und die beiden ein Paar werden, scheint Fabian erstmals etwas gefunden zu haben, das es wert ist, die Rolle des indifferenten Beobachters aufzugeben und Verantwortung zu übernehmen. Doch die Ereignisse überschlagen sich: Fabian wird gekündigt, sein bester Freund Labude bringt sich auf Grund eines perfiden Missverständnisses um und die Beziehung zu Cornelia zerbricht an den wirtschaftlichen Umständen ihrer Zeit. Verzweifelt und desillusioniert flüchtet Fabian zurück zu seiner Mutter in die Stadt seiner Kindheit und versucht dort, neu Fuß zu fassen. Gerade als er zu seiner alten Form zurückgefunden und sich einigermaßen gefangen hat, bemerkt er auf einem Spaziergang einen kleinen Jungen, der von der Brücke ins Wasser gefallen ist und ertrinkt bei dem Versuch, das Kind zu retten. Denn: Fabian kann leider nicht schwimmen.
Ähnlich wie Fabian ging auch der Schluss des Stücks in der Bühnenfassung buchstäblich unter: Das so zynische Ende des Moralisten wurde satzweise durch die in einer Reihe aufgestellten und in unterschiedlicher Lautstärke sprechenden Nebendarsteller vorgetragen, sodass man als Zuschauer Mühe hatte, das Gesagte zu verstehen und den Zusammenhang zu erfassen – das Finale wurde somit durch die Art seiner Präsentation unfreiwillig zu einem Abbild des Abgebildeten auf der Metaebene: Der Vorgang des Ertrinkens ertrinkt im Stimmenkonglomerat. Den Preis für diese Vielschichtigkeit zahlte das Publikum, die Bestürzung über das abrupte Ende Fabians blieb wegen Verständnisschwierigkeiten aus.
Der Rest des Stückes war dafür umso eingängiger: Hierarchische Verhältnisse wurden wunderbar durch Bühneninstallationen verbildlicht, beispielsweise durch die Wahl größerer und kleinerer Stühle. Stühle standen während der Vorstellung überhaupt im Mittelpunkt, die Bühne bestand aus nichts anderem. Manchem Kästnerleser wird sofort der Titel seines Gedichtbands „Gesang zwischen den Stühlen“ in den Kopf geschossen sein, in seinem gleichnamigem Gedicht schreibt Erich Kästner davon, sich sehr gerne zwischen Stühle zu setzen. Und auch die Theateradaption des doch recht autobiographisch geprägten Romans lebt vom tieferen Sinn dieser Andeutungen: In Anspielung auf Fabians Ausruf „Ich saß in einem großen Wartesaal und der hieß Europa!“ nahm Torsten Schilling die Wartesaalmetaphorik in seine Bühnenausstattung auf; mit den Stühlen, die während der einzelnen Szenen zu verschiedenen Konstellationen zusammengestellt werden, wollte er – auch in Bezug auf Fabian, der seinen Platz zu finden versucht – die für die damalige Zeit typische Vergänglichkeit temporär erschaffener Strukturen ausdrücken. Die Schnelllebigkeit, die das Stück beherrscht, wird im heimatlichen Landestheater Coburg normalerweise durch eine sich ständig in Bewegung befindliche Drehbühne verdeutlicht, auf diesen Aspekt musste in der Bamberger Aufführung aus zeitlichen Gründen jedoch verzichtet werden.
Verzichtet wurde, ebenfalls aus zeitlichen und durch die Art der Darstellung bedingten Gründen, auch auf einige Figuren (z.B. die Vermieterin) und interessante Szenen (bspw. die Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialist und Kommunist) des Originaltextes, die den Roman erst richtig rund und vielschichtig machen. Demzufolge wirkt die Bühnenfassung teilweise auch etwas einseitig auf die Liebesbeziehung zwischen Fabian und Cornelia reduziert, des Weiteren liegt der Fokus vor allem auf den sexuellen Eskapaden der Damenwelt, die politische Dimension der Zeit wird bis auf ein Gespräch zwischen Fabian und Labude ausgespart oder lediglich oberflächlich gestreift (z.B. am Ende des Stücks, als Fabian die Aussicht auf eine Stelle bei einer nationalsozialistischen Zeitung angeboten wird).
Dass ein Prosatext nicht Wort für Wort in ein Theaterstück umgesetzt werden kann, liegt in der Natur der Sache, trotzdem hätten die politischen Hintergründe besser herausstechen können. Stattdessen entschied man sich, das Augenmerk auf kulturhistorische Aspekte zu legen und atmosphärisch zu bleiben: Untermalt wurde die Szenerie von gut ausgewähltem zeitgenössischen Swing, die Schauspieler spielten überaus glaubhaft und die Kostüme taten ihr Übriges, um das Publikum für knappe drei Stunden in eine andere Zeit abtauchen zu lassen. Für diese kleine Reise in das Berlin der 30er Jahre lohnt es sich in jedem Fall, das Stück anzusehen. Das Publikum jedenfalls war begeistert, besonders die schauspielerische Leistung wurde in höchsten Tönen gelobt.
Text: Verena Beltz
Fotos: Andrea Kremper