Am Montag, den 3. Dezember, war im Rahmen des Formats „ETA fragt…“ der Autor Max Czollek mit seiner Polemik zur Integrationspolitik „Desintegriert Euch!“ zu Gast am ETA Hoffmann Theater. Moderiert von Chefdramaturg Rhemsi Al Khalisi entfaltete sich von Buch und Interview ausgehend eine Diskussion über das deutsche Selbst- und Zugehörigkeitsverständnis und die Frage nach der Erstarkung rechter Parteien und Gruppen.
Zwei bequeme Sessel, einer rot, einer blau, und ein Beistelltischchen mit gefüllten Wassergläsern dazwischen suggerieren eine sowohl gemütliche als auch professionelle Atmosphäre auf der Studiobühne des ETA Hoffmann Theaters. Gerne nimmt das gespannte Publikum im Zuschauerraum Platz, trotz der klassischen Trennung von Parkett und Bühne sitzt man nah beieinander, und Dramaturg Rhemsi Al Khalisi kommt um Punkt 20 Uhr ohne großes Federlesen gleich zur Sache.
Max Czollek, der studierte Berliner Politologe und freiberufliche Beschäftigte am Maxim Gorki Theater tritt leger und schick zugleich auf. Unter dem grauen Sakko zur farblich passenden Jeans trägt er eine sportliche Zwischenjacke, an den Füßen einfache, braune Schnürschuhe. Niemand im Publikum hat Zweifel daran, dass der junge Mensch in dem blauen Sessel eine starke, nicht weichgespülte Meinung besitzt, und diese auch gebildet zu vertreten weiß.
Wer ist heute Jude in Deutschland?
Dieser Eindruck wird von den von Czollek vorgelesenen Textpassagen bestätigt und weiter ausgeführt. Sein polemisches Werk „Desintegriert Euch!“ ist neben der Reflexion der Relation des Judentums zum Deutschen ein Versuch, die Selbstwahrnehmung der deutschen Gesellschaft im Hinblick auf das Judentum zu analysieren. Denn sehr wenig, stellt Czollek fest, hat wirklich mit dem anderen zu tun. Er kommt zu der Überzeugung, dass entscheidend für die Integration nicht das Judentum selbst ist, sondern das Selbstverständnis des deutschen Kollektivs im Hinblick auf die mörderische Geschichte des Landes. Die zwanghafte Wiedergutwerdung der Deutschen und die damit einhergehende Abgrenzung von der Ideologie des Dritten Reichs hat sich stark in die Mentalität der deutschen Gesellschaft eingebrannt. Die „guten Deutschen“ beschäftigt eine wiederkehrende Frage nach den am besten integrierten Judenfiguren als Verarbeitungsbeweis der Nazizeit – Deutschland wurde von den Nazis befreit, eigentlich waren wir alle schon immer freundlich! Oder?
„Man wird ja wohl noch sagen dürfen…“
Wer die Fußballweltmeisterschaft 2006 noch vor Augen hat, wird sich an die Euphorie erinnern, die mit dem, gefühlt, wieder gerechtfertigten Stolz einherging, die schwarz-rot-goldene Fahne öffentlich schwenken zu dürfen. „Endlich dürfen wir wieder!“, war der zentrale Satz dabei, als wäre ein universelles Verbot aufgehoben worden und die kollektive Erleichterung darüber geradezu grenzenlos. Aber in diesem Zusammenhang muss sich ein Widerspruch feststellen lassen: ist es nicht zweierlei Maß, sich über die Unterdrückung des eigenen Nationalgefühls zu empören und im selben Atemzug zu sagen, man wäre damals von einem Nationalgefühl befreit worden?
Der Knackpunkt dieser Argumentation liegt in dem eigenen Selbstbild, wiederkehrend betonen zu müssen, dass man nicht im Entferntesten etwas mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten zu tun hat - und sich ständig dadurch definieren zu müssen, dass man sich von etwas abzugrenzen hat, schürt Unzufriedenheit. Diese Wunde wissen die rechten Parteien jetzt brisanter denn je auszuschlachten, seit jeher ist die vor allem emotionale Rückführung auf patriotische Zusammengehörigkeit ihre persönliche Expertise.
„Ich bin kein Nazi, aber...“
Max Czollek liefert in seinem Buch kein Patenrezept dafür, wie man mit dem erneuten Machtgewinn der rechten Parteien und der zunehmenden Radikalisierung umzugehen hat. Darum geht es ihm auch nicht, denn im Gespräch fragt er: „Kann man Probleme nur ansprechen, wenn man eine Lösung dafür parat hat?“ Sich wichtige Fragen zu stellen und kritisch zu sein ist ein entscheidender Schritt. Wurden in der antifaschistischen Erziehung in Deutschland Fehler gemacht? Und welche waren das? Ist das kollektive deutsche Selbstbild zu revidieren, oder umzugestalten? Welche Rolle kommt dabei der Schul-/Bildung zu, und ist die Bildungspolitik vielleicht stärker gefordert?
Czollek ist in seinem Buch weder unparteiisch, noch übermäßig wissenschaftlich. Er steht klar auf seinem Standpunkt und scheut sich nicht, dabei auf so manche Zehen zu treten. Der letzte Satz seiner Einleitung drückt seine Absicht hervorragend aus: er zeigt Vorschläge auf, wie man sich handfest in der politischen Debatte positionieren kann – Faustregeln, sozusagen.
Bild: ETA Hoffmann Theater