Shakespeares "Othello" in moderner Fabrikatmosphäre

17. Juli 2016 - Enya Assmann

"Verdammnis liegt auf meiner Seele. Aber ich liebe dich und wenn ich dich nicht mehr liebe, kommt das Chaos zurück."

Othello, einer von Shakespeares Klassikern, wird zurzeit in der Alten Seilerei aufgeführt. Die Mischung der Industrieausstrahlung und hochklassigem Theater ist phänomenal. Den Othello verkörpert Patrick L. Schmitz, der von dem dämonischen Narren Jago, gespielt von Andreas Ulrich, getäuscht wird.

Das Stück handelt von dem erfolgreichen Feldherr Othello, der dem venezianischen Heer dient. Doch obgleich seine Verdienste sehr geschätzt werden, wirkt seine schwarze Haut befremdlich auf die Venezianer. Als seine heimliche Eheschließung mit Desdemona, einem Mädchen aus "gutem Hause", ans Licht kommt, vermutet ihr Vater sofort, dass diese Liebe nicht echt sein kann. Fähnrich Jago, der sich von Othello ungerecht behandelt fühlt, entwickelt einen listigen Plan, die Vorurteile und Schwächen seiner Mitmenschen zu nutzen, um sich zu rächen.

Die Bühne ist ebenerdig. Sie wird nur schwach von den Notausgangslichtern in blaues Licht getaucht. Schemenhafte Gestalten betreten die Bühne und stellen sich auf. Als das Licht angeht und der erste Schauspieler zu brüllen beginnt, geht ein Zucken durch die erste Reihe. Othello stimmt in eine Art Kriegsgesang ein, dem die anderen fünf Gestalten folgen. Sie führen einen Tanz auf und der Raum knistert vor erwartungsvoller Spannung. Nach dem Tanz verharren einige Schauspieler in ihrer Position, während sich andere in einen lebendigen Dialog begeben. Das Bühnenbild unterstreicht die Szenerie. Zwar ist es simpel gestaltet, füllt den Raum aber vollkommen aus und bietet durch verschiedene Ebenen ein abwechslungsreiches Spiel.

Insbesondere die Figur des Jago, brillant und hinterlistig gespielt von Andreas Ulrich, bindet den Zuschauer aktiv mit ein. Durch direkt ins Publikum gesprochene Monologe über sein Vorhaben und die Schwierigkeiten erzeugt er immer wieder ein ungläubiges Lachen. Die Durchtriebenheit und Raffinesse seines Charakters spielt er auf den Punkt genau. Die Mühelosigkeit, mit der er die Liebenden gegeneinander aufhetzt, ist für den Zuschauer schwer zu ertragen. Gerade ist der Zuschauer noch dabei, das frische Glück von Othello und Desdemona zu verfolgen, schon muss er mit ansehen, wie Othellos Glaube an die Unschuld zusammenbricht.

Als die letzte Szene gespielt ist und die Lichter im Saal erloschen sind, herrscht zunächst völlige Stille im Raum. Zu dramatisch und ergreifend war das Schauspiel. Die verzweifelten Schreie Othellos und Desdemonas scheinen noch im Saal nachzuhallen. Allmählich beginnt die Vorstellung von Liebe, Verrat, Intrigen und Betrug im Kopf des Zuschauers Gestalt anzunehmen. Die Entwicklung Othellos von bedingungsloser Liebe zu in den Wahn treibender Eifersucht läuft vor dem inneren Auge ab. Die geschickten emotionalen Schachzüge, die Jago nutzte, um seine Gegner gegeneinander auszuspielen, wirken bei diesen fatalen Folgen noch lange nach. Unter minutenlangem, tosendem Applaus bei vollem Haus kommen die Schauspieler immer wieder hinter den Kulissen hervor. Sogar einige Standing Ovations lassen sich sehen. Dabei setzten sich viele Fragen im Hinterkopf fest: "Wie würde ich auf Betrug reagieren? Sind wir Menschen so leicht zu manipulieren? Gibt es bedingungslose Liebe?"

Das Publikum, vorrangig mittleren Alters, aber gespickt mit einigen jugendlichen Gestalten, geht schweigsam aus der Alten Seilerei. Erst draußen, auf dem weitläufigen und modernisierten Gelände, fangen zögerlich die ersten Gespräche wieder an.  

Uli Spies' Inszenierung des Meisterwerks von Shakespeare ist anschaulich, humorvoll und ergreifend. Dieses Stück ist nicht nur für Shakespearekenner verständlich oder ansprechend, sondern auch für theaterbegeisterte Studierende.

Weitere Termine: 13.09., 16.09. und 18.09.2016
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Außerdem bei Feki.de: Ein Interview mit Studi-Oh! über ihr neues Stück Kaspar Häuser Meer vom 28. bis 30.07.2016 in der Alten Seilerei.

Bildnachweis: Spielwerk