Angst im Land der Freiheit

11. November 2017 - Enya Assmann

Tony Kushners New York in den 1980er Jahre ist ein durch düsteren Humor, Sarkasmus und Bitterkeit und die Übermacht des HIV-Virus geprägtes Abbild. Sibylle Broll-Pape inszeniert Kushners Werk "Engel in Amerika" in einem knapp vier Stunden langen Stück mit einigen Ensemble-Neuzugängen am ETA-Hoffmann-Theater.

Prior und Louis leben als schwules Paar im New York der 1980er Jahre. Als Prior an Aids erkrankt, verlässt Louis seinen Freund von Panik ergriffen. Louis gabelt beim Cruisen im Central Park den jungen Anwalt Joe auf. Joe lebt mit seiner tablettensüchtigen Frau Harper zusammen und kann als Mormone nicht zu seiner Homosexualität stehen. Ebenso wenig wie sein Chef Roy Cohn, ein erzkonservativer, mächtiger Anwalt und homophober Lobbyist, ein Schurke der politischen Macht. Auch Roy Cohn erkrankt an Aids und wird ausgerechnet von der Dragqueen Belize gepflegt. Belize ist der Einzige, der Prior zur Seite steht (ETA Hoffman Theater).

Das Bühnenbild wird von einer Wand dominiert, bestehend aus verschiedenen Fotowürfeln, versehen mit „typisch" amerikanischen Bildern. So lassen sich eine Porträtaufnahme von Ronald Reagan, Mickey Mouse, die Freiheitsstatue und andere plakative Symbole erkennen. Auch das Einspielen der Nationalhymne, gespielt von Jimmy Hendrix, stärkt den beinahe klischeehaften Eindruck. Doch im Verlauf der Handlung tritt das Bühnenbild immer weiter in den Hintergrund und sorgt eher für eine statische Umrandung der Szenerie. Das Umherrollen von Schreibtisch und Krankenhausbetten sorgt für unsaubere Übergänge und zieht das Stück unnötig in die Länge. Schließlich steht die Geschichte der unterschiedlichen Paare unter dem Einfluss von Minderheitsrechten, Homosexuellen, Machtmissbrauch und Korruption im Vordergrund.

Was haben Sie in meiner Halluzination zu suchen?

Durch das Stück ziehen sich zahlreiche traumhafte Elemente, vorrangig die Halluzinationen der tablettenabhängigen Harper und die Engelsstimme, die Prior seit Beginn seiner Krankheit verfolgt. Diese unwirklichen Visionen sorgen dafür, dass sich allmählich Realität und Traum nicht mehr voneinander unterscheiden lassen. Als ausgerechnet Prior durch diesen Engel als Prophet auserkoren wird, glaubt weder er noch sein enger Freund Belize zunächst daran, dass diese Hoffnung auf bessere Zeiten jemals erfüllt werden kann.

Die Herausforderungen für Homosexuelle in der amerikanischen Gesellschaft unter der konservativen politischen Führung werden im Verlauf der Inszenierung immer deutlicher, sowie die verheerenden Auswirkungen des HIV-Virus, die alle Figuren auf unterschiedliche Weise betreffen. "Engel in Amerika" ist ein sehr persönliches Stück, mit hartem Wortwitz, schnellen Dialogen, starker Dramatik und intensiven Charakterentwicklungen, die den Zuschauer zumindest in der ersten Hälfte fesseln. Wie wird es ausgehen? Diese Frage steht nach der Pause im Raum, ein Warten auf den Höhepunkt des Stückes.
Doch leider enttäuscht die zweite Hälfte und der Spannungsbogen verläuft eher geradlinig. Dabei ist dem Zuschauer bei einigen Elementen, wie dem Auftauchen des Engels und der dazugehörigen biblischen Musik, nicht klar, ob dies nun als Komik oder Ernsthaftigkeit verstanden werden soll. Zwar nimmt das Leiden von Prior und Roy in der zweiten Hälfte immer mehr zu, doch die Konzentration und Intensität der schauspielerischen Leistungen gleichzeitig immer weiter ab.

Du hast Angst? Ich habe Angst. Wir alle haben Angst im Land der Freiheit.

Besonders Ensemble-Neuling und Louis-Darsteller Marcel Zuschlag lässt die Schultern zusehends hängen und spricht seine Monologe eher angestrengt als fesselnd, auch Corinna Pohlmann, die den Engel verkörpert, brüllt dauerhaft in Richtung Prior, was für den Zuschauer zunehmend belastend wird. Anna Döing, die die apathische Harper spielt, beweist Sicherheit in ihrer Darstellung, allerdings hätte die Inszenierung ihr weit mehr spielerische Entfaltung zusprechen sollen.
Neuzugang Paul Maximilian Pira hingegen scheint in seiner Rolle aufzublühen und schafft es auch im Alleingang, die Szenen mit Louis in Schwung zu bringen. Zudem brilliert Stephan Ullrich als zynischer, sarkastischer Kapitalismus-Widerling, der seinen ebenfalls herausragend porträtierten verunsicherten Anwaltsschönling Stefan Hartmann immer weiter in die düstere Welt des Erfolges ziehen will.

Ein Stück mit einem überwiegend motivierten Ensemble und zumindest in der ersten Hälfte motivierten Publikum, das in seinen Thematiken durchaus fesselnd ist. Doch die knapp vier Stunden erweisen sich als zu lang, der Spannungsbogen als zu flach und die Themenbereiche des Stückes als zu schwach fokussiert herausgearbeitet. Dennoch ein interessanter Theaterabend, der beweist, dass das ETA den Schritt in die modernen Inszenierungen wagt, diese allerdings noch weiter verfeinern könnte. Ein Abend, der maßgeblich von Stefan Hartmann, Stephan Ullrich und Paul Maximilian Pira getragen wird.

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