The Legend Of Georgia McBride – Premiere am 29.11.24 im Großen Saal des ETA Hoffmann Theaters
Emilia Geilhotti, Esther Reich, Agathe Bauer…das wären auch vorstellbare Namen für eine Drag Queen in unserem Breitenkreis. Doch uns ist vor allem eine bekannt: Olivia Jones, DIE deutsche Drag-Ikone. Sie wird nicht nur als St. Paulis Königin gefeiert, sondern erlangte 1997 durch Gewinnen des Titels "Miss Drag Queen of the World" sogar internationale Aufmerksamkeit. Ihr spöttischer Humor in Symbiose mit einem warmherzigen Kern verleiht ihrem authentischen Wesen den charakteristischen Charme.
Was macht Drag generell aus? Die Frage nach der Begriffsherkunft bleibt kontrovers. Ein plausibler Ansatz, ist, dass der Ursprung in der Theatersprache liegt, in der Männer in Frauenkleidung („dragging along the ground“ – lange Kleider, die den Boden streifen) auftraten. Auch Shakespeare soll die Bühnenanweisung „dress as a girl“ mit DRAG abgekürzt haben. Folglich wird Drag durch sogenanntes Crossdressing umgesetzt, also bewusst karikierendes Präsentieren eines Aussehens, welches konventionell dem anderen Geschlecht zugeordnet wird.
Drag ist nicht nur Kunst, Performance und Unterhaltung, sondern auch provokativer Protest. Zwar ist es heutzutage normalisiert und gesellschaftlich etabliert, es wohnt ihm aber noch immer eine aufrührerische Grundorientierung inne. Mit überspitzten Geschlechterstereotypen wird parodisch gespielt – eine ganz moderne Erscheinungsform von Punk. Drag ist mehr als nur oberflächlich, theatralisches Entertainment. Es weist ernsthaften Tiefgang auf. Ein Gedankenaustausch über Queerfeindlichkeit, Gleichberechtigung von Homosexuellen, über den Gender Pay Gap, über geschlechterspezifischen Look uvm. wird angeregt - und das auf leicht verdauliche Art und Weise. Als ob man eine bittere Pille mit süßem Zuckerguss versieht. Drag galt, vor allem früher als „safe place“, in dem Normen hinterfragt werden konnten und eine Selbstentfaltung möglich war. Kaum eine Drag ausübende Person musste keinen bedrohlichen Moment durchleben. Auch die Dragfigur Rexy in „Georgia McBride“ hat in ihrer Vorgeschichte brutale, gewalttätige Übergriffe bloß aufgrund ihres kostümierten Anblicks erleiden müssen. Genauso beschreibt Pansy eindrucksvoll: „Ob ich schon angegriffen wurde? Das ist, als würde man einen Fisch fragen, ob er weiß, wie man schwimmt“.
Die Reflexion des großzügig eingesetzten Glitzers im Drag kann symbolisch als Lichtblick interpretiert werden, denn in (politisch) dunklen Zeiten lockert Dragcontent sarkastisch mit einem Augenzwinkern auf und bietet so einen Hoffnungsschimmer. So heißt es auch im Theaterstück: „Bei so einem Präsidenten muss man Liebe im Kleinen finden“.
Auch in der Hinsicht der Wandelbarkeit ist Drag von zeitgemäßer Aktualität gekennzeichnet. Digitalisierung, Globalisierung und den Klimawandel – um nur ein paar große Punkte zu nennen- treiben die Dynamik in unserer Welt galoppierend an. Gleichermaßen steigt die Bedeutung von Flexibilität und Vielseitigkeit.
„Du kannst sein, wer du willst“. Diese Möglichkeit der Rollenübernahme ist sicherlich eine Motivation von Leon Tölle und seiner KollegInnen. Aber auch jeder von uns wechselt kontextspezifisch zwischen Rollen unseres Selbst wild umher. Man ist als Ehefrau/-mann anders drauf wie als PolizistIn im Beruf (hoffentlich…). Vielleicht ist man bei der Kindererziehung brillant, während man selbst noch ein Kind von jemandem ist. Jedem noch so harten Mann grausts vor der Männergrippe: „Jeder Mann hat eine weibliche Seite“ heißt es im Stück.
JedeR kann Drag machen. Das zeigt das Stück, denn ehemaliger Elvis-Imitator Casey schlüpft notgedrungen in die Rolle einer Dragqueen zusammen mit seiner Kollegin Miss Tracy Mills in Florida. Anfangs findet er nur langsam Zugang zu dieser neuen Identität, doch im Laufe der Zeit beginnt er, die Gelegenheit, für eine Weile seinem anderen Ich zu entkommen, zu schätzen und die Rolle zu genießen., Dadurch wird auch mit dem Vorurteil aufgeräumt, Drag-PerformerInnen auf ihre Sexualität zu reduzieren. Casey, heterosexuell, erwartet ein Kind mit seiner geliebten Frau Jo und hat zuvor keinerlei Bestrebungen gezeigt, seine weibliche Seite genauer zu erforschen, sondern übernahm die Rolle nur aus externem Druck. Mit der Zeit bemerkt er, dass sein unerschütterlicher Optimismus und seine Hoffnung perfekt zur Mentalität der Drag-Welt passen: „Ich liebe die Musik, das So-tun-als-ob“. Die anfängliche Skepsis und Ablehnung existierte auch in seiner Frau und dem Bar-Besitzer Eddie (stellvertretend für das gesellschaftliche Unbehagen). All diese finden aber Gefallen an diesem neuen Lebensgefühl und zelebrieren es schlussendlich so sehr, dass man an ihnen einen Glow-Up vermerken kann, sie finden darin eine neue Erfüllung. Drag wird zunehmend Teil ihres Lebens, sodass am Ende sogar die gemeinsamen Babys von Casey und Jo in die Bühnenshow integriert werden.
Dadurch wird klar: Drag ist identitätsstiftend. Es existiert nur in den Ausprägungen ganz oder gar nicht. „Drag ist kein Nebenjob!“, konstatiert Miss Tracy Mills.
Leon Tölle, Alina Rank, Daniel Seniuk, Jeremias Beckford und Stephan Ullrich haben an diesem Abend wahre Meisterwerke auf die Bühne gebracht. Es war nicht nur ein Theaterstück, sondern eine realistische Miniatur-Dragshow von unglaublichem Unterhaltungswert, die das Publikum mitriss. Ihre Darstellungen waren so authentisch, dass es keineswegs übertrieben ist zu behaupten, dass diese talentierten Schauspieler mit Leichtigkeit eine erfolgreiche Karriere als Dragqueens starten könnten. Es gehört nun mal einiges dazu, authentisch ein anderes Geschlecht zu repräsentieren. Mit was für einer grazilen Körperhaltung, einem mimenhaften Ausdruck kontrastiert von einer zerbrechlichen Eleganz Leon Tölle in seinem Countrygirl-Look auf der Bühne tänzelt, ist kraftvoll und lebendig. Insbesondere die Figur Casey zeigt noch mal eine andere Ausprägung des Drag, verhältnismäßig zarter, sanfter und weniger überzeichnet, sowohl im Look als auch in der Darstellung. Ganz einfach tritt sie einmal auf die Bühne und singt akustisch, begleitet von ihrer eigenen Gitarre. Ebenso beeindruckend ist jedoch die sehr kunstvolle, ausdrucksstarke Theatralik ihrer Drag-Kolleginnen Miss Tracy Mills und Miss Anorexia Nervosa, die mit Schmollmund und weit aufgerissenen Augen eine unverwechselbare Dramatik entfalten. Alberne Momente werden gekonnt eingebaut, während auch überraschende Wendungen nicht fehlen. Schlagfertigkeit und der Humor tragen ebenso maßgeblich zur Wirkung bei wie die ausgeprägte Mimik und Gestik, zusammen mit dem charakteristischen Dragslang und der betonten Intonation der Ballroom-Kultur, inklusive dramatischer Pausen.
Dadurch, dass umgangssprachliche Alltagssprache herangezogen wurde, ist die leichte Kost für das gesamte Altersspektrum interessant, auch Kinder finden mit Sicherheit großes Amüsement. Auch wenn der Rahmen des Theaters aufgelockert wurde und der raffinierte Witz im Fokus steht, sind subtil einige Lernaspekte über Drag verwoben, ohne schwerfällig zu werden. Unbedingt hervorzuheben sind die ausgefallenen, markanten Kostüme. Beispielhaft zu nennen ist ein quietschrotes Krebskostüm. Wenn wir im tierischen Bereich bleiben, ist der Pinke Panther ist uns allen ein Begriff, aber heute haben wir Bekanntschaft mit dem Kostüm eines pinken Pudels machen dürfen. Anregend wirken Interaktionen mit dem Publikum, wie es bei einer wahren Dragshow auch üblich ist. Ebenso bindet Miss Tracy Mills einen Bamberg-lokalen Insider ein, indem sie meint: „Sonst lande ich in der Norma an der Kasse. Am ZOB!“.
Insgesamt kann man festhalten: Wem der Weg bis nach Hamburg oder München zu weit und teuer ist, bekommt in Bamberg einen mitreißenden Dragabend geboten. Wie mir nicht entgehen konnte, bin nicht nur ich von dieser Erfahrung begeistert – bei mir wurde sogar das Verlangen, selbst Drag Shows zu erleben, entfacht. Das Publikum tobte, lachte herzlich, klatschte im Takt und die Standing Ovation am Ende krönte die darstellerische Leistung.
Schätzchen, ich habe gelacht, geweint und wollte zwischendurch auf die Bühne springen – das war nicht nur Theater, das war eine Offenbarung!